„Hab ich alles richtig gemacht? Mit nichts gestartet, erarbeitete ich gemeinsam mit meiner Frau so vieles für unsere Familie. Und zur Arbeit bin ich in all den Jahren gerne gegangen. Ich bin froh mit dem Erreichten. Also, ja: Alles richtig gemacht.“ 14 | Die mitgebrachten Bilder dokumentieren nicht nur Wenngatz' Jahre im Chemiepark, sondern auch den Zeitgeist. Das Foto zeigt ihn in der Thermischen Säure etwa 1985 Schnappschuss mit dem ehemaligen Kollegen Thomas Meurer in den 90ern KNAPSACKSPIEGEL 4 / 2024
HERR WENNGATZ GEHT IN RENTE Ein Abschied nach über 45 Jahren auf dem Knapsacker Hügel H eute hat Erwin Wenngatz noch einmal einen Termin „op de Chemische“, wie er sagt. Er kommt die Treppe zum Betriebsrestaurant in Knapsack herunter und nimmt auf einer der Holzbänke draußen im Schatten Platz. Er ist hier, um zu erzählen: über seine vielen Jahre im Werk, seinen Abschied und die Rolle, die sein Job als Chemikant bei Hoechst und Clariant für sein Leben gespielt hat. Seit Juni ist er freigestellt, im Oktober erreicht er das Renteneintrittsalter. AUS EIGENER KRAFT Wenngatz erinnert sich: „Ich bin in armen Verhältnissen in Hürth-Efferen groß geworden. Mit acht Geschwistern war ich von Anfang an gewohnt zu arbeiten.“ Nach der Schule wollte er eigentlich eine Lehre als Autoschlosser machen. Als das mit dem Ausbildungsplatz nicht klappte, fing er in einer Metallbaufirma an zu arbeiten. Sein Leben veränderte sich, nachdem er seine Jugendliebe und heutige Frau kennengelernt hatte. Privat, aber auch beruflich. Denn ihr Onkel war Maler und Anstreicher im Chemiepark und riet ihm, sich dort zu bewerben. Das war Anfang 1979. Da leistete Wenngatz gerade seinen Wehrdienst. Im April durfte er sich vorstellen, und am 14. Mai trat er seinen neuen Job in der Thermischen Säure an. Proben holen, aufräumen, Behälter umstellen – Wenngatz war zunächst Springer und half aus, wo er gebraucht wurde. Fünf Jahre später war er dann fest auf Schicht. „Meine Frau und ich, wir hatten nichts und haben uns alles erarbeitet. Vom ersten Geld gönnten wir uns eine Küche, später dann ein Schlafzimmer und einen Honda Akkord. Wir sind froh, dass wir schließlich auch ein Haus in Kerpen-Brüggen erwerben konnten.“ Als die Thermische Säure den Betrieb einstellte, wechselte er in die Hexa-Anlage, die 1997 dann Teil von Clariant wurde. Wenngatz erwarb an der Rhein-Erft Akademie den Abschluss als Chemikant. Bei Clariant, im heutige PV-Betrieb, ist er geblieben bis diesen Sommer. Diesen PsO5 Turm – eine Spardose und das Abschiedsgeschenk der Kollegen – nimmt Wenngatz mit in Rente DIE RICHTIGE EINSTELLUNG In den vergangenen Jahren hat ihn ein Azubi an die junge Version seiner selbst erinnert, erzählt Wenngatz: „Eher ein praktischer Typ, der, um den Betrieb zu verstehen, jedem noch so kleinen Ventil nachgelaufen ist. Wichtig ist es doch, eine positive Einstellung zur Arbeit zu haben sowie neugierig und interessiert zu sein.“ Einige Anlagen hat Wenngatz gefahren, hauptsächlich war er jedoch in der Abfüllung. Mit der Schichtarbeit hat er nie gehadert. Im Gegenteil. Er sagt: „Dadurch hab ich gutes Geld verdient. Außerdem war der Zusammenhalt immer super. Tolle Schichtkollegen – es gibt nichts Besseres: Morgens ein bisschen quatschen, Blödsinn machen, einen Kaffee trinken und dann packen wir’s gemeinsam an.“ Zum Abschied hat er die Kollegen eingeladen. Sie haben ihm eine gefüllte Spardose in Form eines Produktionsturms überreicht: „Erwins P2O5 Turm“. Jetzt ist seine Zeit in Knapsack zu Ende. Ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Wenngatz freut sich, findet, der Zeitpunkt ist gut gewählt. Der heute 65-Jährige hätte auch schon vor zwei Jahren in Rente gehen können. Er blieb, um den Töchtern und deren Familien noch ein bisschen mehr unter die Arme greifen zu können. Wenn er über seine Familie, seine Frau, die Töchter, deren Partner und die beiden Enkel Mika und Noel spricht, wird klar, was in seinem Leben das Wichtigste ist. BILDER IM KOPF Zum Ende des Gesprächs schiebt er einen weißen Umschlag über den Tisch: „Ich hab noch ein paar alte Fotos gefunden.“ Wenngatz schmunzelt beim Betrachten. Auf einem der Bilder steht er in der Thermischen Säure. Die Haare schulterlang und mit dunklem Schnauzer – die 80er Jahre lassen grüßen. „Wer hier so lange wie ich gearbeitet hat, hat noch viel mehr Bilder im Kopf, hat viel erlebt und könnte noch so viel erzählen.“ KNAPSACKSPIEGEL 4 / 2024 | 15
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